"George Bush ist der glücklichste Mann, der je gelebt hat"



Interview mit Buchautor Norman Mailer

In seinem neuen Buch "Heiliger Krieg" liefert Norman Mailer eine scharfsichtige wie humorvolle Analyse der amerikanischen Politik und deren Flucht in den Patriotismus. Im Interview mit aspekte-Redakteurin Miriam Böttger erklärt er, was er an Präsident Bush und seiner Regierung auszusetzen hat.



aspekte: Mr. Mailer, könnten Sie die spezielle Identitätskrise der Amerikaner nach dem 11. September beschreiben?

Norman Mailer: Viele Amerikaner glauben, dass ihr Land von Gott ausgewählt wurde - es gibt hier einfach mehr Möglichkeiten und mehr Sicherheit. Deshalb sind wir nicht wie die anderen Nationen. Nach dem 11. September war der Schock sehr groß für die Amerikaner. Dieses Gefühl ist vielleicht zu vergleichen mit dem eines glücklichen Paares, bei dem einer von beiden mitbekommt, dass der andere ihm untreu geworden ist. Einfacher gesagt: Das, wovon man stets ausgegangen ist, ist nicht mehr existent. Das ruft letztlich eine Identitätskrise hervor.

Warum sind die Amerikaner nicht wie die anderen Nationen? Wo ist der große Unterschied?

Wir sind ein neues Land, das erst ein paar Jahrhunderte alt ist. Es gibt hier nur wenige Traditionen. Außerdem sind wir in vielen Aspekten bevorteilt: geographisch und von den natürlichen Ressourcen her. Das Land hat die Demokratie forciert. Was uns fehlt, sind genau die Dinge, die diese Identitätskrise evozieren. Es mangelt einfach an einer tiefgründigen Kultur, da wir eine neue Kultur sind. Wir haben nicht die Traditionen, so wie sie Europa hat. Wir können uns nicht auf Ereignisse beziehen, die 1000 Jahre zurückliegen und so ein Gefühl von Kontinuität erzeugen. Daraus resultiert dann eine vorschnelle Beurteilung und eine gewisse Intoleranz. Du kannst Amerikaner in den Wahnsinn treiben, wenn du für sie nicht ausreichend patriotisch bist. Ich bin der Meinung, dass wir so ein großes Land sind, dass wir es gar nicht nötig haben, so patriotisch zu sein. Es ist unsere Pflicht, besser zu werden als wir sind, sodass wir irgendwann fantastisch sein werden. Ich habe dieses Bild schon öfter benutzt: Wir sind wie ein 300 Pfund schwerer und sieben Fuß großer, muskulöser Mann, der in bester Verfassung ist, aber alle drei Minuten fragt: "Riechen meine Achselhöhlen nicht wunderbar?"

Wie veränderte diese Identitätskrise die Wahrnehmung für George W. Bush?

George Bush ist der glücklichste Mann, der je gelebt hat. Er ist wie Ronald Reagan, beide haben sehr viel Glück gehabt. Sie haben wenig fundiertes politisches Wissen. Ulkigerweise haben sie eine Sache gemeinsam. Ronald Reagan war auch immer Nummer zwei. Am Ende des Films hat er nie die Frau abbekommen und wegen seines Freundes freiwillig verzichtet. Viele Amerikaner lieben ihn dafür. Denn die Geschichte zeigt, dass die meisten Männer nie die Frau bekommen, die sie wollen. So auch Bush. Er sieht auch gut genug aus, um ein erfolgreicher Schauspieler sein zu können. Nicht in der obersten Liga, aber im soliden Mittelfeld. Aber wovon sie wirklich etwas verstehen, sind die niedrigen Level der menschlichen Natur. Zum Beispiel starben 1983 im Libanon 250 Marines durch eine Bombe. Reagans Reaktion darauf war sofort, auf die kleine Insel Granada zu fliegen, wo 1500 Marines stationiert waren und 1000 einheimische Bauarbeiter überwältigten. Reagan bezeichnete dieses Ereignis dann tatsächlich als Zeichen des Überstehens der Niederlage von Vietnam. Der militärische Sieg war an sich ein Witz, aber Reagan nahm ihn ernst. Das zeigt deutlich, dass er mit den niedrigsten Instinkten der Amerikaner arbeitet. Ebenso verhält sich Bush.

Sie behaupten ja, Bushs Gehirn gibt nicht viel her. Dafür hat er aber etwas, dass ihm mitteilt, ob ihm seine Berater die Wahrheit sagen. Wie nennen Sie das?

Englisch ausgedrückt klingt es sehr zotig, es ist eine Art "Bullshit-Detektor". Er zeigt an, wenn etwas übel riecht. Ich benutze Clinton stets als Beispiel: Clinton war meistens der intelligenteste Mann im Raum und scherte immer nur fast so kluge Menschen um sich herum. Bush ist glücklicherweise clever genug zu erkennen, dass das Land nur von Schwachköpfen regiert werden würde, wenn er auch Berater um sich hätte, die 90 Prozent seiner Intelligenz besäßen. So sucht er sich Experten aus, die schlauer sind als er. Ich nehme an, dass er sich deshalb diesen Detektor hat einpflanzen lassen. Ein Experte kann sich nicht auf allen Gebieten gleich gut auskennen, die Hälfte der Zeit gibt er nur vor, Ahnung zu haben. Bush hat die Gabe, instinktiv einzuschätzen, welcher Berater auf welchem Feld wirklich der Beste ist. Das macht ihn unschlagbar clever. Auf der anderen Seite nutzt er schamlos den amerikanischen Patriotismus aus. Wir kennen alle die Bilder, wenn er aus seinem Hubschrauber springt und fantastisch aussieht. Auch wenn er nicht über viele Fertigkeiten verfügt, könnte er immer als männliches Modell agieren. Seine Körpersprache ist exzellent, er ist sehr fotogen. Selbst wenn er nur ein Hündchen streichelt, sieht er dabei noch fantastisch aus. Wenn Bush in einem Hubschrauber ist, macht er immer den Eindruck als wäre er selbst der Pilot. So gleicht er einem Pilot mehr als der Pilot selber. In seiner eigenen Militärzeit stach er nicht besonders hervor. Bush kam aus sehr gutem Hause und war privilegiert. Jeder wusste das. Er gab sich als Soldat einer Kampftruppe, dabei ist er das nie gewesen; sein Vater war einer.

Denken Sie, dass die Attraktivität eines Politikers ausschlaggebend für Amerikaner ist?

Ja, gut auszusehen ist ein sehr wichtiges Element der amerikanischen Gesellschaft. Schönheit ist sogar wichtiger als Machismo.

In Ihrem Buch erwähnen Sie Bushs Lieblingswort "böse"..

Bush kategorisiert in schwarz und weiß. Die Hälfte der Amerikaner ist sehr religiös, wenn man dann ein Wort wie "böse" verwendet, erreicht das die Leute. "Ich kämpfe gegen das Böse" wird verstanden. Aus dem ansteigenden Terrorismus hat er gnadenlos Kapital geschlagen, sodass er immer den Irak-Krieg legitimieren konnte. Jeder Amerikaner ging deshalb davon aus, dass dieser Krieg gewonnen wird. Vermutlich ist aber gerade wegen des Einmarsches in den Irak die Gefahr vorhanden, dass der Terrorismus sich erhöht. Falls das der Fall sein sollte, würde das vor allem Amerika betreffen. Das weiß Bush sehr genau, und das gefällt mir eben nicht. Wenn es einen weiteren Terrorangriff geben wird, wird sich Bush wieder im Fernsehen präsentieren und verkünden: "Gute Amerikaner haben heute wieder ihr Blut vergossen. Wir werden weiterhin gegen das Böse kämpfen, wo auch immer das geschehen möge." Bush weiß sehr genau, dass seine Position um so fester ist, je mehr Terrorismus in Amerika existent ist. Das ist Zynismus in Reinform.

Meinen Sie, dass diese Zustände für die nächsten Jahren anhalten werden? Wie sehen Sie in die Zukunft?

Ich bin nicht sehr optimistisch. Die Zukunft ist von zwei Ereignisse abhängig, die noch nicht vorhersagbar sind. Zum einen, wer der nächste Präsident wird und zum anderen, wie der Krieg sich weiter auswirkt. Ich glaube es war Clausewitz oder Moltke - deutsche Generäle -, der gesagt hat: "Wenn der erste Schuss gefeuert wurde, gilt der Kriegsplan nicht mehr." Es gab diese erste Schlacht, und dann wurden alle Pläne über den Haufen geworfen.

Sie sagen, Amerika gehört nicht Gott, aber es ist Gottes risikoreichstes Experiment. Wie meinen Sie das?

Amerika hat die besten Voraussetzungen für die Demokratie, andere Länder haben diese nicht. Es ist sozusagen Gottes bester Feldversuch. Wenn Amerika scheitern und sich in ein totalitäres Land wandeln sollte, was momentan nicht auszuschließen ist, wäre das eine spirituelle Katastrophe für die ganze Menschheitsgeschichte.


von Miriam Böttger

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